Pressemitteilung vom 01.10.2020
Am OncoRay, dem Nationalen Zentrum für Strahlenforschung in der Onkologie in Dresden untersuchen Wissenschaftler Veränderungen im Gehirn anhand von Magnetresonanztomographiedaten, die nach einer Bestrahlung bei Patienten mit aggressiven Hirntumoren, sogenannten Gliomen, auftreten können. Dr. Felix Raschke hat jetzt eine Studie vorgelegt, die die Auswirkungen unterschiedlicher Bestrahlungsarten auf das Kleinhirn zeigt.
Wie wirken sich Photonen- und Protonenbestrahlung auf das Gehirn, insbesondere auf das Kleinhirn, eines Hirntumorpatienten aus? Das ist die zentrale Frage, der Dr. Felix Raschke, Wissenschaftler in der Forschungsgruppe von Frau Prof. Esther Troost, seit einigen Jahren nachgeht. Ziel ist es, den Stellenwert der Protonentherapie nicht nur subjektiv durch den Patienten in Form von Angaben zur Lebensqualität und Hirnfunktion, sondern auch objektiv, u.a. anhand von Magnetresonanztomografiedaten, zu erfassen. Die objektiven Analysen werden durch das OncoRay und das Nationale Zentrum für Tumorerkrankungen Dresden (NCT/UCC) ermöglicht.
Erstmals wurden über einen Studienzeitraum von bis zu fünf Jahren insgesamt 91 Patienten mit einem ähnlichen Krankheitsbild untersucht. Sie alle hatten ein Gliom entwickelt, einen meist aggressiven Tumor des Großhirns, der aus den Glia (Stütz)-Zellen des Gehirns besteht. Dieser Tumor wird zunächst soweit wie möglich chirurgisch entfernt und anschließend abhängig von der genauen Tumorart mit Strahlentherapie und Chemotherapie behandelt. Die untersuchten Patienten waren in zwei Studien unter der Leitung von Frau Prof. Mechthild Krause behandelt worden, so dass die Vergleichbarkeit der Behandlung und der Nachkontrollen gesichert war.
Ausgangspunkt der von Dr. Raschke durchgeführten Analyse waren detaillierte anatomische Aufnahmen, die vor Beginn der Strahlentherapie im Magnetresonanztomografen (MRT) erstellt wurden. 52 Patienten wurden mit herkömmlichen Photonen bestrahlt, dem aktuellen klinischen Standard, die übrigen 38 Patienten erhielten eine Strahlentherapie mit Protonen. Die Protonentherapie ist eine spezielle Form der Strahlentherapie, die für Hirntumorpatienten aktuell nur an vier Zentren deutschlandweit angeboten wird, unter anderem in Dresden. Die Reichweite der Protonen kann über die Geschwindigkeit, das heißt über die Energie, variieren und der individuellen Tiefe des Tumors angepasst werden, so dass das Normalgewebe mit einer deutlich geringeren Strahlendosis belastet wird. Die Protonentherapie kann somit gesundes Gewebe besser schonen als die herkömmliche Photonentherapie, wie die Untersuchungsergebnisse der von Wissenschaftler der Medizinischen Fakultät der TU Dresden und des Helmholtz-Zentrums Dresden-Rossendorf (HZDR) durchgeführten Studie belegen.
Insgesamt konnten 349 MRT-Aufnahmen der Patienten ausgewertet werden. Die Volumina des Kleinhirns der Patienten wurden einem Vorher-Nachher-Vergleich unterzogen. Dr. Felix Raschke stellte fest, dass das Ausmaß des Gewebeschwundes (Atrophie) im Kleinhirn sowohl vom Alter des Patienten als auch von der eingesetzten Strahlendosis abhängig ist. Je älter der Patient und je höher die Dosis, umso mehr nimmt das Volumen des Kleinhirns ab. Bei Patienten, die eine Photonenbehandlung erhielten, war die mediane Dosis im Kleinhirn bedeutend höher als bei Patienten, die mit Protonen behandelt wurden. Laut den Ergebnissen der Studie würde dies bei einem 55-jährigen Patienten, der mit Photonen behandelt wird, einen durchschnittlichen Volumenverlust des Kleinhirns von zwei Prozent nach 2 Jahren bedeuten, wohingegen dieser Volumenverlust nach Protonenbestrahlung voraussichtlich unter einem Prozent liegen würde.
Noch offene Fragenstellungen sind: Was genau führt zur Verringerung des Volumens und welche Konsequenzen haben diese Nebenwirkung der Tumorbehandlung für die Hirntumorpatienten. Da das Kleinhirn vor allem für die Steuerung der Bewegungsabläufe, aber auch für das Gedächtnis zuständig ist, sei in diesem Bereich am ehesten mit Beeinträchtigungen für den Patienten zu rechnen, fasst Dr. Felix Raschke die Untersuchungsergebnisse zusammen. Es ist mit dieser Langzeitstudie erstmals gelungen, den Effekt von Bestrahlung auf das gesunde Kleinhirn zu zeigen. Da das gesamte Gehirn im Laufe des Lebens ohnehin schrumpft, sei mit einer Umkehr der Atrophie nach dem Ende der Behandlung eher nicht zu rechnen, so Dr. Raschke, der auf die Notwendigkeit von Folgestudien verweist.
Veröffentlichung in der Radiotherapy and Oncology, September 2020 https://doi.org/10.1016/j.radonc.2020.07.044
Kontakt:
OncoRay - Nationales Zentrum für Strahlenforschung in der Onkologie
Dr. Felix Raschke
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