Protonen können den Körper anders als Photonen (ultraharte Röntgenstrahlen) nicht vollständig durchdringen. Stattdessen kommen sie abhängig von der gewählten Ausgangsenergie in einer bestimmten Tiefe im Körper zum Stillstand und geben hier den Großteil ihrer Energie (Dosis) ab. Hierdurch wird das vor dem Tumor liegende Gewebe wenig und das hinter dem Tumor liegende Gewebe gar nicht durch Strahlenwirkung geschädigt.
Allerdings führt gerade die Tatsache, dass die Protonen auf der Rückseite des Patienten nicht wieder austreten dazu, dass sich die tatsächliche Eindringtiefe des Protonenstrahls und damit der Ort größter Wirkung nur schwer messen lassen. Die Steuerung der Bestrahlung basiert daher bisher  nur auf Berechnungen anhand einer Computertomographie-Aufnahme vor der Bestrahlung. Um sicher zu gehen, dass der gesamte Tumor bestrahlt wird, berücksichtigen die Medizin-Physiker bei der dreidimensionalen Dosisberechnung immer einen gewissen „Sicherheitssaum“. Etwa fünf bis zehn Millimeter gesundes Gewebe vor und hinter dem Tumor werden mitbestrahlt, um das kranke Gewebe auch dann vollständig zu treffen, wenn die vorausberechnete Reichweite nicht auf den Millimeter stimmt. Ziel der Forscher ist es, diesen Sicherheitssaum so weit wie möglich zu verkleinern, um gesundes Gewebe zu schonen und Tumoren in der Nähe sensibler Organe besser behandeln zu können.

Einem Forscherteam des Dresdner OncoRay-Zentrums (Forschungsgruppen „Hochpräzisions-Strahlentherapie“ und „In-vivo-Dosimetrie für neue Strahlenarten“), der Firma IBA Ion Beam Applications und des Helmholtz-Zentrums Dresden-Rossendorf ist es nun erstmals gelungen, den Strahlverlauf im Patienten während der Behandlung präzise nachzuverfolgen. Dazu nutzten sie eine so genannte Prompt-Gamma-Kamera. Diese wurde von der Firma IBA entwickelt und mit dem Dresdner Team gemeinsam erprobt und weiter verbessert.

(c) http://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0167814016000074
Erste Messung der Reichweite des Protonenstrahle mit einer Prompt-Gamma-Kamera während einer Patientenbehandlung.

(c) IBA
Funktionsprinzip der Prompt-Gamma-Kamera

Grundlage für die Funktion der Kamera ist eine physikalische Gesetzmäßigkeit: Durchquert ein Protonenstrahl Gewebe, werden Atomkerne angeregt. Diese angeregten Kerne geben ihre Energie in Form sogenannter prompter Gammastrahlung ab. Mithilfe der Schlitzkamera ist es möglich, die Gammastrahlen, die durch den Protonenstrahl erzeugt werden, auf einer Detektorebene abzubilden. Anhand der Abbildung lässt sich so ablesen, wo die Gammastrahlung plötzlich abfällt, weil der Protonenstrahl stoppt.
Vor der klinischen Erprobung der Kamera machten die Forscher zahlreiche Experimente an Plexiglas- und Gewebe-Phantomen. Im August 2015 wurden dann die ersten Messungen mit der Schlitzkamera während der Bestrahlung eines Patienten mit Kopf-Hals-Tumor durchgeführt. Im konkreten Fall konnten die Wissenschaftler feststellen, dass die gemessene mittlere Reichweite an verschiedenen Bestrahlungstagen in einem Bereich von nicht mehr als plus-minus zwei Millimeter schwankte. Dass dies tatsächlich so war konnte mit CT-Aufnahmen im Therapieverlauf unabhängig bestätigt werden. Die derzeitigen Unsicherheiten in der Protonenreichweite, bei dem konkreten Patienten waren es ca. sieben Millimeter, ließen sich mithilfe der Kamera in Zukunft auf zwei bis vier Millimeter reduzieren. Unter anderem bei Bestrahlungen im Gehirn können wenige Millimeter darüber entscheiden, ob infolge der Strahlentherapie an den Tumor angrenzende kritische Risikoorgane geschädigt werden. Mit der jetzt entwickelten und erstmalig am Patienten eingesetzten Prompt-Gamma-Schlitzkamera steht den Strahlenmedizinern ein Instrument zur Verfügung, mit dem sich der Protonenstrahl im Organismus genau nachverfolgen lässt – und das während des gesamten Therapiezeitraumes. Mittelfristiges Ziel ist es, zum einen die Protonentherapie noch schonender zu machen, indem die Sicherheitssäume und damit die Bestrahlung des gesunden Gewebes verkleinert werden. Zudem soll durch die tägliche Kontrolle der Bestrahlung leichter festgestellt werden, ob der Tumor noch getroffen wird oder ob es z.B. aufgrund von anatomischen Veränderung Abweichungen gibt. Die Kamera könnte dann ihre Messdaten automatisch weiterleiten und die Bestrahlung abbrechen, wenn der Protonenstrahl zu kurz oder zu tief eindringt.